Hallo ihr Lieben,
dieses Mal habe ichz ein paar Textauszüge aus dem ersten Buch für euch … und auch einen aus dem 2. Band 😉
Kapitel 1 – Blutiger Staub
Als der Säbel gegen Schwert und Parierdolch prallte, schoss scharfer Schmerz durch Gwenaels Handgelenke und explodierte in den Ellbogen. Sein Gegner hatte den Schwung, den er aus dem Galopp mitbrachte, voll ausgenutzt. Ein ungesundes Knirschen begleitete den Schlag. Gwenaels Finger fühlten sich taub an. Zumindest konnte er seine Waffen halten – noch. Er krampfte die Faust um das schweißfeuchte Leder und lenkte den Schlag ab. Der Griff seines Schwertes geriet ins Rutschen. Wie lange war er noch in der Lage zu kämpfen?
Glücklicherweise nahm der Pareshi keine weitere Notiz von ihm. Er jagte durch das Heer und hackte blindwütig mit seinem Schwert um sich. Sinnlos, ihm nachzusetzen.
Er musste sich vorbereiten. Die nächsten Gegner kamen bereits auf ihren Pferden angesprengt. Auf dem harten, sandigen Boden suchte er nach festem Stand.
Sein Atem ging stoßweise. Das Tuch vor Mund und Nase machte es unmöglich, tief Luft zu holen. Er sog nur speichelfeuchten Stoff ein, in dem sich aufgewirbelter Sand und Dreck gefangen hatten.
Ihm wurde heiß, zugleich kühlten seine Finger aus. In seinen Ohren gewann das Rauschen des Blutes an Kraft, sodass es den Lärm der Schlacht übertönte. Für einen Moment engte sich Gwenaels Sicht ein. Lichter flackerten vor seinen Augen, und Schwärze rann in seine Wahrnehmung des Schlachtfeldes.
Was war das?
Erschrocken blinzelte er, bis sich das Bild klärte. Zurück blieb ein hohes, anhaltendes Pfeifen, das sich in seinen Ohren sammelte, zusammenzog und ausdehnte.
Jemand rammte ihn schräg von vorn in die Seite. Ein Tritt. Der Stiefel tat in den Rippen weh, ungeachtet des Kürras.
Gwenael spannte sich instinktiv und versuchte sich abzufangen, doch es war zu spät. Der Boden kam auf ihn zu. Er rollte sich schwerfällig über die Schulter ab.
Im gleichen Moment mischte sich das Trommeln von Hufen in den Kampflärm und schlug in heftigen Druckwellen über ihn hinweg. Ein dumpfer Knall erklang und wurde fortgerissen. Das Pferd brach in sich zusammen und zerschmetterte seinen Reiter.
Das war nah, viel zu nah.
Gwenael kam unsicher auf die Füße. Die Welt drehte sich, pendelte, fand kein Gleichgewicht mehr. Er versteifte sich, bis der Boden aufhörte zu schwanken und nur noch unter dem Stampfen von vielen Hufen bebte.
Der Geruch nach Blut, Fäkalien, Tier und Schweiß überwältigte ihn. Sein Magen zog sich zu einem steinernen Klumpen zusammen.
Dicht neben ihm setzte Orins helle, riesenhafte Gestalt über den toten Pferdeleib. In seiner Hand lag eine der langrohrigen, doppelzügigen Jagdbüchsen. Rauch kräuselte sich aus dem Lauf und wurde von der Druckwelle der heranrasenden Reiterattacke davongerissen.
„Danke, Orin …“
Rufe – rasche Warnungen, die sich wie ein Lauffeuer ausbreiteten – gellten in der vertrauten Sprache Valvermonts von vorn und von links. Unter dem Rauschen seines Blutes, seinem Keuchen und dem Hämmern seines Herzens begriff er deren Sinn kaum. Was war geschehen?
Orin rammte ihm die Faust gegen den Oberarm. Der Hieb raubte Gwenael beinah das Gleichgewicht. Taumelnd fing er sich.
Orins fahle Augen waren vor Entsetzen geweitet. „Gwen, sie überrennen uns!“
Durchbruch!
Für einen Moment glaubte Gwenael, dass sein Herz aussetzte. Eisiger Schrecken kroch ihm in die Glieder und flutete seinen Verstand.
Er versteifte sich. Der Schock lieferte neue Kraft, keine Zeit für Erschöpfung. Er musste seine Leute sammeln, sich zurückziehen und den Posten aufgeben. Es brachte nichts, sie in einem sinnlosen Kampf um eine tote Grenzzone zu opfern. Sie konnten nicht mehr gewinnen. Dafür waren sie viel zu wenige.
„Rückzug!“ Gwenaels Stimme wurde von dem verfluchten Tuch bis zur Unkenntlichkeit gedämpft. Er riss es sich von den Lippen. „Rückzug!“
Schemenhaft nahm er zwischen den Reitern seine Soldaten wahr, die sich wehrten. Die Dummen, die Helden, wurden niedergeritten, von Säbeln und Bolzen niedergestreckt. Die Klugen verschwanden. Sein Ruf wurde durch die Reihen weitergetragen, nicht mehr als ein undeutliches Echo.
Er presste die Kiefer aufeinander. Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Seine Nase trocknete aus. Er war einfach nicht für diese Gegend geschaffen, nicht wie die Pareshi.
Sie lebten in dieser Einöde, hatten sich an die Umgebung angepasst und ihr General Nandhi war ein weiser, geschickter Mann. Er nutzte das Klima und die örtlichen Gegebenheiten, trieb Gwenaels kleines Heer aus der Sicherheit der Berge in die Steppe. Er wusste, dass Valvermonts Soldaten keine Rückendeckung aus Sarina zu erwarten hatten. Hier konnte er sie aufreiben.
Insgeheim zollte Gwenael ihm und seinen Offizieren Respekt. Kein noch so gut aufeinander eingespieltes Heer konnte der schieren Masse, die der General zur Verfügung hatte, widerstehen. Er führte Unmengen unerfahrener Krieger in die Schlacht. Sie reagierten unkontrollierbar und hysterisch, nicht geordnet. So beschäftigte Nandhi den Gegner, während seine Berufssoldaten die Versorgungszüge überfielen und aufrieben. Er bestimmte zweifelsohne das Schlachtfeld, ordnete es neu, um im passenden Moment seine Elite-Reiter zu schicken.
Gwenael verlor die Gedanken, als der nächste Reiter auf ihn eindrang. Eine Klinge schnitt durch die staubige Luft. Rasch wich er dem Angriff aus, nur um einen von unten geführten, ungeschickten Schlag gegen den Bauch des Pferdes anzusetzen. Das Tier tänzelte instinktiv zur Seite. Sein Reiter dagegen hatte scheinbar keinerlei Ahnung, was er tat. Er hackte mit dem Säbel nach unten und rammte dem aufgeregten Tier die Fersen in die Flanken.
Glücklicherweise gehorchte es ihm nicht.
Das Pferd bäumte sich auf. Eine bessere Chance würde sich Gwenael nicht bieten. Er tauchte unter dessen Leib hindurch und schlitzte den Bauch auf. Mit einem fast menschlichen Laut warf sich das Pferd herum. Der Sattelgurt schnitt in die Wunde. Blut und Därme quollen hervor. Sein Reiter konnte sich nicht mehr halten. Er stürzte, nur um einen Moment später von seinem Ross begraben zu werden.
Mitleid für Mann und Pferd? Dazu blieb Gwenael keine Zeit.
„Gwen!“
Orin drehte sich mitten in der Bewegung zu ihm um. Was immer er in der Hand gehalten hatte, es traf Gwenael vor der Brust. Sofort ließ er Schwert und Dolch fallen und griff zu. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was der Priester ihm gereicht hatte – sein Gewehr. Eine Ladung hatte es noch.
Die nächste Welle Reiter zog in irrer Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Der Boden bebte. Hufe wirbelten Brocken steinharter, ausgedörrter Erde auf.
Seine Sicht veränderte sich. Sonnenlicht fiel durch aufgewirbelten Staub. Sandige Schleier hinterließen ein unwirkliches Bild über dem Schlachtfeld. Gerüstete Schatten prallten bei ihrem Rückzug erneut aufeinander, während Reiter alles auf dem Boden Kämpfende niedermähten. Sie achteten nicht darauf, ob es ihre eigenen Landsleute waren.
Einer von ihnen war halb wahnsinnig in seinem Blutrausch. Er kannte kein Maß mehr und erschlug alles, was ihm in den Weg kam. Ein Berserker!
Gwenael riss die Waffe hoch, lud durch, zielte und drückte den zweiten Zug ab. Der Rückstoß traf hart gegen seine Schulter. Durch die Panzerung spürte er dennoch nur den Aufprall, keinen Schmerz. Blassblaues Feuer flammte vor der Mündung auf.
Pferd und Reiter stürzten in einen Pulk Soldaten mit den staubigen, blutverspritzten Brustpanzern Valvermonts. Sofort schloss sich die Masse über ihnen.
Gwenael wechselte die Waffe in die Linke, um mit der Rechten sein Schwert aufzuheben. Gewehre waren fremdartig, monströs und grausam, denn sie töteten weitaus schneller und heftiger als Armbrüste und Bögen. Die Streuwirkung riss nicht nur eine Person in den Tod, sondern auch alle umstehenden.
Trotzdem …
Blaues Mündungsfeuer flammte auf, ganz nah. Im gleichen Augenblick verzehrte weißglühender Schmerz sein Bewusstsein. Getroffen. Etwas hatte ihn getroffen. Wo, ließ sich nicht lokalisieren. Alles tat weh.
Er rang nach Luft. Die Schmerzen peitschten auf und schnürten ihm den Hals zusammen. Seine Brust wollte sich nicht füllen …
Die Welt kippte. Der Aufprall drang nur schwach durch den Nebel seiner Empfindungen.
Rüstung und Geschosse bohrten sich durch Stoff und Haut. Vor seinen Augen tanzten Lichtreflexe, die in gleißender Helligkeit die Schlacht verbrannten, bis lediglich blendendes Weiß übrig blieb. Das hohe Pfeifen brandete zu neuer Gewalt auf, raubte jeden Eindruck, überschwemmte die Realität. Der Laut füllte seinen Kopf, ließ ihn schweben, bis er nichts mehr empfand.
Wenn der Tod nur so gnädig blieb.
Gwenael sank in sich zusammen. Die leichte Bewegung zerschnitt ihn innerlich und trieb ihn an den Rand der Bewusstlosigkeit. Aber der Schmerz ebbte nicht ab. Bohrend manifestierte er sich irgendwo zwischen Verstand und Leib. Jeder Atemzug riss tiefere Wunden. Die Splitter bohrten sich in seine Eingeweide. Flüssige Lava rann durch seine Kehle. Magensäure mischte sich mit Galle und Blut. Er würgte.
Sollte es das gewesen sein? Unrühmliches Leben, elender Tod.
Taubheit kroch in seine Finger. Mit der Finsternis kam die Kälte, die Betäubung, das Nichts.
Kapitel 6 – Begegnungen
Jaleel hielt nichts mehr in der Nähe der Wache. Die fahlen Augen des Orcs hatten sich in seinen Kopf gefressen. Selbst mit geschlossenen Lidern sah er sie vor sich. Sie verfolgten ihn.
Nachdem er die besseren Straßen des Künstlerviertels hinter sich gelassen und die engen Seitengassen der Weststadt erreicht hatte, ließ der Druck nach. Er gab die Flucht auf und verfiel in einen schnellen Schritt. Bis hierher konnte ihm dieser Kerl nicht folgen.
Schweißpolster hatten sich zwischen seinen Beinen gebildet. Die Haut fühlte sich schmierig an. Hemd und Stiefel rieben. Erst jetzt nahm er sein rasendes Herz und seine Atemlosigkeit wahr. Der Stahlring, der sich bisher um seinen Brustkorb gespannt hatte, dehnte sich. Obwohl er zügig ging, konnte er wieder Luft holen.
Schließlich wurde er langsamer und blieb stehen. Wo befand er sich eigentlich? Im ersten Moment kam ihm die Umgebung fremd vor. Rechts und links der Gasse erhoben sich steinerne Wände. Das allgegenwärtige Bild des Fachwerks fehlte. Schatten fingen sich dazwischen und tauchten den Weg in ein dämmriges Licht.
Bei seiner kopflosen Flucht hatte Jaleel die Orientierung verloren.
Dicht vor ihm kreuzte eine Straße, in die etwas mehr Licht fiel. Er ging weiter, blieb an der Hausecke stehen und sah sich um. Die Straße stieg steil an und verlor sich zwischen den aufeinander zusinkenden Hauswänden. Stufen überbrückten Höhenunterschiede: die Klippentreppe.
Die charakteristischen Aromen von feuchtem Mauerwerk und Schimmel hingen zwischen den hohen, schlecht verputzten Wänden. Der Meereswind erreichte die Gassen nicht.
Das Licht nahm ab. Mit einem Mal wurde es kühler.
Verwundert hob Jaleel den Kopf. Über ihm hatte sich eine dichte, undurchdringliche Wolkendecke zusammengezogen. Sie hing erschreckend tief. War sie es, die ihn schwitzen und keuchen ließ?
Wärme und nahender Regen drückten die Gerüche auf die Stadt herab, bis sie zu einer beinah stofflichen Schicht komprimiert wurden. Es konnte nicht mehr lang dauern, bis das nächste Gewitter niederging.
Auf seinen Armen richteten sich die Härchen auf. In der Luft knisterte es. Dumpfes Grollen drang vom Meer herüber und brach sich in den Gassen. Der erste Tropfen traf seine Stirn, direkt zwischen die Hörner.
Jaleel sah zu Boden. Die Kopfsteine waren noch hell vom Staub. Nein, der nächste dicke Tropfen zerplatzte auf dem Stein und ergoss winzige Spritzer über das ausgetrocknete Moos und das dürre Gras in den Fugen. Da der nächste – und noch einer. Es wurden immer mehr, immer schneller fiel der Regen herab.
Rasch schlug er den Kragen hoch. Das Gefühl des Wassers, das über seinen Hals in sein Hemd sickerte, das beständige Reiben des groben Stoffes unter dem feuchten Leder, bescherte ihm eine Gänsehaut. Er begann zu frieren. Blieb nur zu hoffen, dass sein Körper nicht auskühlte. Ganz davon abgesehen war es während eines Gewitters zwischen den eng stehenden Gebäuden nicht ungefährlich. Wenn der Blitz einschlug oder der Sturm die Schindeln herab fegte, wurde es unangenehm.
Um ihn mischte sich das silbrig helle Rauschen des Wassers in das Wispern und Murmeln, die Gesprächsfetzen, das Geschrei und die alltäglichen Geräusche aus den Häusern. Laute ohne Richtung, ohne Gesichter. Dennoch waren sie da. Unheimlich eigentlich, denn es war fast niemand unterwegs.
Ganz in der Nähe betrieb Alain sein „Atelier“, ihren gemeinsamen Treffpunkt. Dann war seine Flucht doch nicht ganz so kopflos gewesen.
Er kam unangekündigt und konnte noch nicht viel vorweisen. Bisher hatte er zu wenig Informationen über den Commandanten gesammelt, um Alain zufriedenzustellen. Nach der Begegnung mit R’Coan und Chabod stellte sich die Frage, ob er überhaupt an diesem Auftrag weiterarbeiten wollte. Auf die Aussicht, dem Orc erneut zu begegnen, konnte er gut verzichten. Allerdings zahlte Alain gut. Geld konnte er brauchen und sei es nur, um sich eine gewisse Sicherheit zu erkaufen.
Tief in ihm regte sich ein leises Ziehen, eine warnende Stimme. Dieser Denkansatz hatte ihm schon mehrfach Schwierigkeiten bereitet.
Ärgerlich biss er sich auf die Lippe, bis ein scharfer Schmerz einsetzte.
Der Regen begann langsam unangenehm zu werden. Auf einer der Treppen, unter zwei Stützbögen, die die Wände davon abhielten, aufeinander zuzusacken, stellte er sich unter. Silbrige, immer dichter werdende Schleier prasselten herab. Das Wasser rann an den schmutzigen Fassaden herab und suchte sich in Bächen seinen Weg über die Bruchsteinwand ihm gegenüber. Gräser bogen sich in den Fugen, während kleine Moosbetten ausgespült wurden und über das Pflaster in die Rinne rutschten, die die Treppe flankierte.
Innerhalb kurzer Zeit würde ein Sturzbach schmutziger Brühe von der Klippe schießen und in den Auffangkanal laufen. Aller Dreck, der aufgeweichte Putz mancher Häuser, die alten, geborstenen Schindeln, die Fäkalien und der Müll schossen zu Tal und in die Wasserrinnen zum Meer.
Jaleel fröstelte. Wind kam nicht auf. Dennoch kühlte die Luft aus. Das lag sicher an der Wetter- und Klimamanipulation. Was hatten die Magier nur getan?
Eine ständig warme Enklave mitten in einem ursprünglich kalten Gebiet konnte einfach nicht richtig sein. Irgendwann würde sich ihr Eingreifen in das Wetter rächen, nicht nur am Rand der Wärmezone, wo es permanent stürmte und der Schiffsverkehr zur Höllenfahrt wurde. Ein einzelner heller Blitz zerriss Jaleels Gedanken.
Der folgende Donnerschlag ließ die Wände beben. Nasser Staub und Spinnweben rieselten aus dem Sturz herab.
In den fast stofflichen Schatten und dem grauen Zwielicht hatte sich ein Riss in der Fuge zur Bruchsteinwand gebildet. Muffig schimmeliger Sand bröselte heraus, wurde vom Regen ausgespült.
Er musste schlucken. Vielleicht war es doch klüger, sofort zu Alain zu gehen.
Die rauchig grauen Wolken hingen inzwischen tief über den Häusern an der Klippe. Blitze zuckten nieder, mal näher, mal etwas weiter entfernt. Teils schlugen sie mit Urgewalt in die Stadt ein, sodass die Erschütterung den Boden zittern ließ. Schreie und Rauchsäulen kündeten von den entstandenen Schäden.
Jaleel sah nicht hin und hörte nicht zu. Mit gesenktem Kopf und vor der Brust verschränkten Armen eilte er die Stufen hinauf zur nächsten Rampe an der Steilstrecke und der folgenden Quergasse.
Etwas bewegte sich am Rande seiner Wahrnehmung, im gleichen Augenblick stieß er gegen eine junge Frau. Sie taumelte. Das Haar hing in Strähnen unter ihrem Häubchen hervor. Rasch fing sie sich wieder. Ein Hauch von Ärger huschte über ihr Gesicht, bevor sie den ausgefransten Weidenkorb enger an sich drückte und weiterlief. Zeitversetzt folgte ihr der schwache Geruch nach gekochtem Kohl und Kartoffeln, der sich in den von Ozon mischte.
Wie weit war es noch zu Alain? Hoffentlich hatte er sich heute früh entschlossen, ins Atelier zu gehen, um zu malen. Bis ins Villenviertel würde Jaleel es bei diesem Wetter kaum schaffen.
Ein Blitz ging gleißend hell in der Hohlgasse nieder. Obwohl er die Augen zusammenkniff, malte eine Geisterhand die weißen Verästelungen hinter seinen Lidern nach. Er sah ihren Tanz auf dem regennassen Pflaster und roch die eigenartig brandigen Aromen. Es knisterte. Etwas zog an ihm, in ihm. In der gleichen Sekunde rollte ein Donnerschlag über ihn hinweg ins Tal. Jaleel bebte. In der ersten Sekunde konnte er sich kaum bewegen. Er wagte nicht, die Augen zu öffnen. In seinem Magen flackerte eine Feuerlohe.
Als er die Lider hob, hatte sich eine Wand in eigenartigem Muster rußschwarz verfärbt. Der Boden qualmte leicht, wo der Blitz sein Ziel gefunden hatte.
Plötzlich spürte Jaleel seinen Herzschlag deutlicher denn je. In einem Bogen umging er die Stelle und lief zur nächsten Kreuzung. Er musste sich orientieren. Irgendwo hier war es, Alain wohnte im Dachgeschoss.
Nachdenklich schaute er sich um. Man konnte diesen Abschnitt der Treppe von Alains Fenster aus sehen – die Treppe und … Er drehte sich im Kreis. Genau, das Gebäude lag mit dem turm- und minarettgekrönten Prunkpalais der Mutter des Prinzen auf einer Höhe. Selbst von hier ließen sich die blaugoldenen Mauern erkennen. Die fünf schlanken Türme ragten hoch über die Stadt hinaus. Mit ausgreifenden Schritten eilte er die enge Treppe hinauf.
Wasser troff aus seinem Zopf auf die Holzdielen. Die dunklen Flecken wirkten in dem schummrigen Licht des Treppenhauses wie geronnenes Blut. Hemd und Hose scheuerten. Durch die dumpfe Wärme begann seine Haut zu jucken. Jaleel unterdrückte den Reiz zu kratzen.
Mit einer Hand strich er sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht und wischte sich das Wasser aus den Augen.
Der typische Geruch nach angegammeltem Ei, Öl und verschiedenen Pflanzen mischte sich mit dem Gestank des Gebäudes. Ein Hauch schweren Parfums lag in der Luft. Es roch nach Reichtum in der Gosse.
Alain war da. Er konnte ihn hinter der Tür hören.
Jaleel zögerte und fragte sich, ob er anklopfen sollte. Der Blitz und die Nässe waren ein gutes Argument, um in ein Tête-à-tête zu platzen, befand er. Kurzentschlossen hob er die Faust und hämmerte gegen das Türblatt.
Schnelle Schritte näherten sich der Tür. Alain öffnete. Er trug seine farbverspritzte Malerschürze.
Jaleel atmete innerlich auf und musterte das ernste Gesicht seines Freundes. Gefühlsregungen ließen sich auf seinen glatten Zügen nicht feststellen. Kam er doch ungünstig? Sein Mund wurde trocken.
Alain empfing hier nicht ausschließlich Modelle, zahlende Kunden und unseriöse Geschäftspartner, sondern auch seine Gespielen. So hielt er das Haus seiner Familie sauber. Bis auf die vielen Gerüchte gab es nichts, wodurch man auf unehrenhafte „Treffen“ schließen konnte.
„Störe ich?“
Alain wischte sich die verschmierten Finger notdürftig an der Schürze ab und trat zur Seite. Eine Einladung.
Durch die Fenster fiel kaum Licht. Das Gewitter war weitergezogen. Nun ging nur noch dichter, grauer Regen nieder. Bei der schwachen Beleuchtung konnte Alain nicht malen. Dazu war es trotz der Kerzen und Lampen zu dunkel. Sie verströmten den angenehmen Geruch nach heißem Petroleum und flüssigem Wachs.
Auf einem kleinen Kanonenofen brodelte Wasser. Die Schäfte von Pinseln ragten in die Luft. Leinwände lehnten an der Nordwand, auf zwei Staffeleien standen angefangene Gemälde. Waren es noch die gleichen wie vor drei Tagen? Alain gab ihm nicht die Möglichkeit, einen Blick darauf zu erhaschen.
Mit einer Kopfbewegung wies er zu dem Diwan.
Von dort kam der Parfumgeruch, vermischt mit etwas anderem. Der Eindruck von zwei Körpern, Schweiß und Sperma hing in der Luft. Er hatte wieder einmal mit irgendwem geschlafen, gerade eben erst.
Diese Vorstellung fühlte sich falsch an. Das Echo eines schwachen Stichs drängte in Jaleels Herz. Nein, auf dem Diwan wollte er nicht sitzen.
Alain schüttelte seine schulterlangen Locken, die sich aus dem Zopf gelöst hatten, zurück und nickte zu dem grob zusammengezimmerten Holzregal an der Nordwand. „Nimm dir ein paar saubere Tücher und trockne dich ab.“
In seinen Worten schwang ein leicht gereizter Unterton mit. Scheinbar störte er doch.
Jaleel regte sich nicht. Er musterte den jüngeren Chabod-Bruder.
Bei seinem Anblick verwirrten sich seine Gedanken. Die Wirklichkeit stand Kopf. Er wusste, dass er Alain nie ganz für sich haben konnte, aber er wollte ihn. Dieser Mann war schön, unheimlich schön. Ein wundervoller Körper, ein edles, harmonisches Gesicht, dunkles Haar und beinah schwarze, von dichten Wimpern überschattete Augen, die beim Sex brannten.
„Erwartest du jemand … neuen?“ Jaleel bemühte sich bewusst, abfällig zu klingen. Vermutlich prallte es an Alains Dickfelligkeit ab, aber er sollte spüren, dass er verantwortungslos mit seinen körperlichen Zuwendungen umging. Es gab auch Bettgefährten, die sich dabei in ihn verliebten.
Tatsächlich reagierte Alain nicht. Er sah an Jaleel vorbei.
„Störe ich dich beim Abarbeiten deiner Liebschaften?“, hakte er nach.
Scheinbar war Jaleel einer Antwort nicht wert. Alain schwieg, verzog nicht einmal das Gesicht.
Das unangenehme Gefühl nahm zu.
Jaleel drehte sich zum Ofen um. Die Wärme, die er verströmte, half gegen das klamme Kribbeln. Er starrte in den Topf auf der Heizplatte. Auf der brodelnden Wasseroberfläche hatte sich eine helle Schmierschicht gebildet, die an öligen Seifenschaum erinnerte und unschöne Spritzer an den Holzschäften zurückließ.
„Kochst du die Pinsel aus?“ Das Thema war unverfänglich und hinterließ kein ungutes Gefühl.
Alain nickte. Er goss sich aus einer Tonkaraffe etwas Öl in die Hände und verteilte es auf seinen farbverspritzten Unterarmen. Mit einem trockenen Tuch rieb er die festen Reste ab.
Normalerweise war Alain nicht so wortkarg. Seltsam, irgendwie wirkte er heute nicht so schillernd und beeindruckend wie gewöhnlich. Der Glanz, der ihn normalerweise umgab, fehlte. Sein Haar wirkte stumpf, ungekämmt und ungewaschen. Auch seine Kleidung verströmte unangenehme Gerüche, die darauf schließen ließen, dass er darin gearbeitet, gegessen, geschlafen und Sex gehabt hatte.
„Ich habe heute deinen Bruder kennengelernt“, trieb Jaleel das Gespräch voran.
Angesichts seiner Betonung hob Alain ruckartig den Kopf. Seine dunklen Augen waren rot geädert und feucht von dem Alkohol, der als schwaches Restaroma in der Luft hing.
„Gwen?“
„Wie viele Brüder hast du sonst noch?“
Alain zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Und? Was hältst du von ihm?“
Es schien ihn nicht zu interessieren. Warum fragte er dann überhaupt?
Jaleel suchte die richtigen Worte. „Er ist anders als du, sehr …“
„Militärisch?“, fiel ihm Alain ins Wort.
Seine harsche Art störte Jaleel. Er hatte den Eindruck, dass Alain ihn abwimmeln wollte. Wen erwartete er? Jaleel kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und beobachtete seinen Freund.
Alain warf das Tuch von sich und ließ sich auf den Diwan fallen, streckte die Beine weit von sich und verschränkte die Hände im Nacken. Über seine Züge huschte ein Hauch von Entspannung. Er gähnte ungeniert und senkte die Lider.
„Weiter“, forderte er ihn auf.
Jaleel zog die Brauen zusammen. „Ihr scheint nicht viele Gemeinsamkeiten zu haben.“
Alain lachte freudlos auf. „Gwen und ich sind uns in nichts ähnlich.“
Das mochte stimmen. Erneut musterte Jaleel ihn, dieses Mal mit dem Bild seines älteren Bruders vor Augen.
Die Unterschiede betrafen nicht in erster Linie das Aussehen, eine Familienähnlichkeit war vorhanden. Alain war ein interessanter, weltoffener und gutaussehender Müßiggänger – solange er keinen besonderen Zweck verfolgte oder sich der Malerei hingab. Es lag in seiner Persönlichkeit. Gwenael Chabod war verschlossener und zugleich auf eine ganz andere Art offen als Alain; ein überkorrekter, zurückhaltender Mann.
Jaleel löste sich vom Ofen und ließ sich doch neben seinem Freund sinken. Das Laken über dem durchgesessenen Diwan roch stark nach Sperma. Ob Alain zuletzt Frauen oder Herrenbesuch gehabt hatte, wollte er lieber nicht genau wissen. Eifersucht brannte sich von seiner Brust in seine Eingeweide. Sie hatten hier oft miteinander geschlafen. Unschön zu wissen, dass Alain es auf demselben Diwan mit anderen trieb.
Eine Feuerlohe ballte sich in seinem Magen, gestützt von dem Ärger, der Eifersucht und dem Ziehen in seiner Brust.
Sie waren kein Paar, erinnerte er sich. Sicher störte sich Alain auch nicht daran, wenn Jaleel sich die Zeit mit anderen Männern vertrieb.
Aber er wollte nicht.
Wie dumm musste man sein, sich freiwillig diesen Gefühlen auszusetzen? Warum nicht einfach genießen, was Alain ihm gab und alle anderen Sorgen von einem anderen beseitigen lassen? Es gab so viele Männer, die gelegentlichen Sex wollten und die Gefahr eines Parhurbisses gern auf sich nahmen, nur um das leidenschaftliche Feuer in sich zu spüren. Alain taugte nichts, war ein lüsterner Bastard und Intrigant. Ein solcher Mann war nicht dafür vorgesehen zu lieben, aber er verströmte Lust und übertrat gesellschaftliche Verbote. Allein deshalb wollte Jaleel ihn.
Das Brennen in seinem Magen sagte etwas Anderes.
Bevor er das Gefühl gedanklich erfassen konnte, lag Alains Hand auf seiner. Jaleel bemerkte die vernebelte Lust in seinem Blick, während er ihm aufs Gemächt starrte. Es fühlte sich an wie eine Berührung, das Tasten von Fingern, die federleicht über die pulsierende Linie seines Gliedes strichen.
In Jaleels Lenden zog es.
Trotz allem war Alains Gesicht eine unbewegliche Maske. Darin lag weder Leidenschaft noch unstillbare Gier, eher Langeweile. Sex als Freizeitbeschäftigung bis zur nächsten wirklichen Herausforderung?
Der Gedanke sackte ab, zog einen Schleier aus Kälte mit sich und drückte erstickend gegen Jaleels Kehlkopf.
In diesen hübschen Zügen lag wirklich nichts. Alain wollte sich nicht einmal wirklich vergnügen, aber scheinbar fiel ihm nichts Besseres ein. Mit einer Hand knetete er sein Glied durch Leder und Stoff.
Dann stemmte er sich hoch, streifte die Schürze ab und ließ sie fallen. In seiner Hose regte sich nichts – zumindest nicht sichtbar. Trotzdem löste er Schnallen und Band, die den Latz hielten. Der schwere, fleckige Stoff fiel zur Seite. Polsterung und verschmutzte Unterwäsche kamen zum Vorschein. Sein Glied hing nicht weniger verdrückt und blassrosa herunter.
Jaleel keuchte. „Was wird das?“
Wollte sich dieses bornierte Arschloch etwa von ihm vorbereiten lassen, um seinen Schwanz in irgendeine reiche Schlampe oder einen hochwohlgeborenen Arsch zu schieben?
Die Feuerlohe explodierte in ihm und verbrannte ihn innerlich. Mit der Wut kochte Magensäure hoch.
Was war er für Alain, sein kostenfreier Stricher? Hatte er das in den Jahren zuvor etwa auch schon so gehandhabt?
Er fühlte sich benutzt. Handlanger, Bettgefährte, Informant und Dieb. Alles für Alain.
Fassungslos beobachtete er, wie Alain ihm sein schlaffes Glied entgegenhielt.
Jaleel zog die Lippen über seine Fangzähne zurück und knurrte. „Vergiss es. Ich bin nicht dein Zeitvertreib …“
Alain lächelte matt. „Aber mein Liebhaber. Und ich denke, ich kann durchaus verlangen, meine Freizeit mit dir im Bett zu verbringen.“ Jaleel fing seinen herausfordernden, lasziven Blick auf.
„Bist du verrückt?“ Kopfschüttelnd rutschte er zur Seite und erhob sich. „Nein, Alain, das kannst du vergessen. Ich mache es nicht mit dir, wenn ich es nicht will.“
Er schob sich zwischen Alain und dem Ofen vorbei zur Tür. Angesichts des zweifelhaften Vergnügens von Alains Gesellschaft waren Blitzschlag oder Lungenentzündung die besseren Alternativen – zumindest ließen sie seinen Stolz unangetastet.
An der Tür wandte er sich um. Alain hatte sich wieder angezogen. Er wirkte verärgert.
Sollte er doch. So, wie er sich das vorstellte, funktionierte ihre Partnerschaft nicht.
„Ich bin nicht dazu da, dich wieder in Stimmung zu bringen, nachdem du dich mit anderen verausgabt hast“, merkte Jaleel an, bevor er das Atelier verließ.
Die Stadt der Maschinenmagie II – Die blaue Phiole (Arbeitstitel)
Kapitel 1 – Illusionsgrenze
Gwenael! Jaleel hatte das Gefühl, seinen Freund laut nach ihm rufen zu hören. Er fuhr aus seinem Versteck auf, nur um sofort wieder den Kopf einzuziehen und sich eng gegen die Hauswand zu drängen. Mit heftig pochendem Herz beobachtete er den Diener, der gegen das Licht der Terrasse kaum mehr als ein Schattenriss war. Der Mann musste mindestens zwei Köpfe größer sein als Jaleel selbst.
So leise er konnte, kauerte er sich in den Schatten hinter der Hausecke, den Rücken fest gegen die Wand gedrückt. Mit der dunklen Kleidung verschmolz er hoffentlich mit seinem Umfeld. Kies knirschte unter langsamen, schweren Schritten. Sein Herz schlug beinah schmerzhaft hart. Er konnte dank seines ausgetrockneten Halses kaum atmen. Die feuchte Mauer verströmte unangenehme Wärme, als lehne er an etwas Lebendigem. Das Erdreich hingegen war klamm und kalt. Mühsam verdrängte er die Vorstellung eines gewaltigen Monsters, dass einfach nur das Aussehen eines Gebäudes angenommen hatte, um willfährige Opfer anzulocken. Mit dem Handrücken wischte er sich schweißnasse Strähnen aus der Stirn.
Etwas raschelte. Alle Härchen auf seinen Unterarmen richteten sich auf. Aus zusammengekniffenen Augen verfolgte er die Bewegungen der Blumen. Das elende Katzenvieh trieb sich im Unterholz herum und suchte die Ratte. In Abständen erklang immer wieder ihr Grollen und Fauchen. Es hörte sich bedrohlich an. Wie lang würde es dauern, bis der Diener oder das Tier ihn aufgespürt hatten?
Nervös leckte er sich über die Lippen. Er brauchte ein besseres Versteck. Vorsichtig spähte er zwischen Ästen und Blättern hindurch, nur um sofort wieder den Kopf einzuziehen.
Der starrte in seine Richtung, verharrte. Hatte er Jaleel bemerkt? Hoffentlich nicht. Jaleel wagte nicht, auch nur tief Luft zu holen. Aus brennenden Augen starrte er den Mann an. Wahrscheinlich handelte es sich bei ihm um einen Orc oder Troll. Beiden Völkern sagte der Volksmund nach, dass sie bei Nacht nur geringfügig schlechter sehen konnten, als bei Tag. Jaleel wollte hierfür keine Beweisführung antreten. So gut er konnte verharrte er in seiner Position und hielt die Luft an.
Sicher war ihr Eindringen nicht unbemerkt geblieben, schließlich gehörte das Anwesen einer Magierin. Ihm gefiel der Gedanke ausgeliefert zu sein gar nicht. Aber was konnte er jetzt noch dagegen unternehmen? Wahrscheinlich hatte Desirée sie mit Vorsatz hierher geführt.
In seinem Magen brannte blanke Wut, durchstoßen von erstickender Angst um Gwenael. Wie konnte er seinem Freund helfen?
Der Diener trat vom Weg in die dichten Blumenrabatten. Er neigte sich vor, kniff die Augen zusammen und starrte in die Schatten …
Sicher hatte er ihn entdeckt! Jaleel spürte eisige Schauder durch seinen Körper rasen. Alles in ihm drängte danach zu fliehen, zugleich wusste er, dass das die dümmste Idee überhaupt war. Mit aller Gewalt zwang er sich, ruhig zu bleiben. Plötzlich richtete sich der Diener auf und drehte sich ab.
Jaleel wurde schwindelig. Feinen Stiche in seinem Kiefer sagten ihm, wie sehr er sich verspannt hatte. Langsam löste er seine Muskeln und atmete tief ein. Der entsetzlich schale Gestank der Blütenbüsche rann bittersüß durch Nase und Kehle. In seinem Magen entstand ein flaues Gefühl. Zu allem Überfluss erwachte dumpfer, schwach pochender Kopfschmerz, der sich hinter seiner Stirn auszubreiten begannen. Unsicher blinzelte er und massierte seine Schläfen.
Jetzt sah er den Diener von hinten. Der Mann war entsetzlich groß. Er vermittelte den Eindruck, aus seinem Wams zu platzen und die eigentlich weit geschnittenen Ärmel des Hemdes zu sprengen.
Licht fiel von oben auf den Kiesweg. Durch das schwache Flackern der Flammen, schien es auf den weißen Steinchen zu tanzen. Er glaubte fast Muster darin zu erkennen, die ihn schwindeln ließen. Jaleel blinzelte die Illusion fort.
Er wollte beobachten, wissen ob Gaëlle seine Freunde entdeckt hatte, musste Hilfe holen … draußen standen … Solda… wer? Zäh wie Sirup zerfloss der Gedanke. Jaleel sank zurück an die Wand und schloss die Augen. Dieser Geruch. Schwer atmend löste er den Kragen und fächelte sich Luft zu. Es half nicht. Jaleel würgte. Plötzlich begannen Mauer und Boden zu beben.
Unfug!
Wahrscheinlich ein Zeichen von Schwäche. Seine Beine knickten ein. Er fing sich mühsam ab. Im gleichen Moment zuckte ein einzelner, harter Stoß durch die Erde. Jaleel stürzte. Der kurze Schmerz von Wurzeln unter seinen Knien und Steinchen in seinen Handflächen, riss ein Loch in den betäubenden Nebel. Der süße Geruch betäubte ihn! Gaëlle brauchte ganz sicher keine weitere Absicherung, nur die Blumen. Er würgte den schalen Geschmack hinaus und spie aus, bevor er Tuch und Hand vor den Mund presste. Wahrscheinlich half das nur bedingt, aber jetzt wusste er um die Gefahr. Er musste seine Chance nutzen, bevor sein sich Geist erneut umwölkte. Rasch federte er auf die Füße. Der Weg zu Gwenael und Desirée war ihm durch die Magierin versperrt. Er konnte den Beiden nicht helfen. Jaleel blieb nur die Möglichkeit Franquin zu alarmieren. Der Capitaine und seine Leute überwachten schließlich die Umgebung. Mit der Unterstützung von stark bewaffneten Soldaten bestand die Aussicht mehr ausrichten. Jaleel wandte sich ab und drängte sich in die Schatten. Vorsichtig schob er sich an der Wand entlang, darauf bedacht so flach wie möglich zu atmen.
Licht, Fauchen und Rufe blieben hinter ihm zurück. Nach einer Weile sah Jaleel sich um. Stille Finsternis umfing ihn. Irritiert löste er sich und an der dunklen, verwitterten Fassade hinauf. Schwach erkannte er im Restlicht der Stadt karge, verfilzte Rankgewächse, die das Mauerwerk überzogen und durchdrangen. Der Eindruck von etwas altem, Lebendem gewann an Stärke. Für Jaleel wirkten die holzigen Stränge wie wulstige Adern unter papierdünner Haut. Handelte es sich schon wieder um eine Illusion, ausgelöst durch die Blumen? Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich. Das Bild blieb. Um sicher zu gehen ritzte er seine Zunge an einem Zahn. Aber der Schmerz war klar und echt. Das hier konnte also nur die Wirklichkeit sein. Blieb nur die Frage, was er von der Mauer aus gesehen hatte. Das hier jedenfalls nicht. Er wandte sich ab. Um ihn herum stand das Gras fast bis zu seiner Hüfte und das Gebüsch wirkte dicht verfilzt. In einiger Entfernung standen alte Gebäude an die dunkle, überwucherte Mauer geschmiegt. Sicher waren es Remise und Stall, oder Gesindehäuser, Schuppen, was reiche Leute eben für ihre Dienerschaft und das Gerät bauen ließen. Aber auch das wirkte, soweit er es in dem schlechten Licht ausmachen konnte, verfallen. Er rieb sich Stirn und Schläfen. Vermochte Magie eine Illusion zu erschaffen, die Menschen glauben ließ, eine prächtige Villa vor sich zu haben? Hilflos strich er sich über die Schläfen. Langsam keimte Zweifel auf. Er befand sich schon eine Weile auf dem Gelände, die Blüten hatten also Zeit genug seine Wahrnehmung zu beeinflussen. Vielleicht spielte die Illusion mit Kindheitsängsten und zeigte ihm leere Anwesen, Bauten, in denen Menschen grausam gestorben waren. Kriegsruinen … Diese Angst verfolgte ihn seit seiner Kindheit. Er presste die Lippen aufeinander. Tief in ihm keimte der Wunsch auf, dass die schöne Villa doch Wirklichkeit war. Hilflos ballte er die Fäuste. Diese verdammte Zauberin spielte mit ihm und veränderte seine Wahrnehmung! Er musste sich fangen um diese Beeinflussung endgültig abzustreifen. Wie sollte er sonst die Wirklichkeit erkennen?
Schwer rang er nach Luft, schloss die Augen und wartete. Das Rauschen seines eigenen Blutes schwoll an. Er hörte seine eigenen Atemzüge beinah unnatürlich laut und sein eigener Herzschlag sandte Erschütterungen durch seinen Körper, die sich mit dumpfen Schlägen aus seinem Schädel befreien wollten. In seinem Magen sammelte sich Schwere, die ihn aus dem Gleichgewicht reißen wollte … Trocken schluckte er und presste die geballte Faust auf seine Bauchdecke. Ein Kribbeln rann unter seiner Haut entlang. Instinktiv fuhr er mit den Nägeln über Handrücken und Arm. Aber das Gefühl ließ sich nicht greifen, weil es tiefer lag, irgendwo in seinem Gewebe. Jaleel begann sich in seinem eigenen Körper unwohl zu fühlen. War das nicht beinah das gleiche Gefühl, wenn er einen magischen Gegenstand berührte? Wollte Gaëlle seinen Körper etwa übernehmen? Unter dem schieren Gedanken zuckte er zusammen. Fort, so weit weg wie es nur möglich war!
Freut euch auf mehr 😉
Beim nächsten Beitrag gibt es auch die Personenliste – auch wenn ich da sehr vorsichtig sein muss … Spoilergefahr, ihr wisst schon ;p